Geschichte/Wirtschaft
Aktien-Zuckerfabrik
  Chemische Fabrik
Wilhelm Scheel
  Dierkower Damm 45
  Ferdinand Schultz Nachfolger
  Betriebe
Kassebohmer Weg
  Osthafen-Kalkofen
  Marien-Ziegelei
  Osthafen Vorgeschichte
  Osthafen
  Riedelsche Dachpappenfabrik
  Weißes Kreuz
zum Vergrößern klicken
zum Vergrößern klicken
zum Vergrößern klicken
zum Vergrößern klicken
zum Vergrößern klicken
zur Vergrößerung klicken
zum Vergrößern klicken
zum Vergrößern klicken
Statut PDF
zum Vergrößern klickenAktie Rostocker-Aktien-Zuckerfabrik von 1884 (Archiv: Werner Moennich)
zum Vergrößern klicken
zum Vergrößern klicken
Zum Vergrößern klicken
Aktie Rostocker-Aktien-Zuckerfabrik von 1922 (Archiv: Werner Moennich)
zum Vergrößern klicken
 

Zur Geschichte der Aktien-Zuckerfabrik in Rostock
Berthold Brinkmann

Vorwort
Zwischen der Neubrandenburger Straße und der Warnow, dem Bahndamm und der Straße Kassebohm-Kiesgrube liegt eine ca. sechs Hektar große Industriebrache. Auf dieser von Altlasten kontaminierten Grünfläche stehen noch zwei größere Gebäude, die einst zur Rostocker Aktien-Zuckerfabrik gehörten. Von 1884 bis zur Zerstörung bei der Bombardierung Rostocks im Mai 1942 war sie mit einer jährlichen Rübenverarbeitung von über 1 Mio. Zentner eine der damals ganz großen Fabriken.
Nach dem Krieg wurden in einigen instandgesetzten Gebäuden Nahrungsmittel, wie Honig und Hefe hergestellt, ab 1949 nutzte die DHZ (Deutsche Handelszentrale) Pharmazie und Chemie, der VEB Chemiehandel und später Venoc die Gebäude. Da bis 1992 auf dem Gelände mit Chemikalien und Krankenhausbedarf gehandelt wurde, werden auf dem Gelände noch immer hohe Mengen an Altlasten gemessen und die Nutzung ist vorerst unmöglich.
Ab 1992 wurden die Gebäude abgerissen, bis auf zwei, die von einigen Gewerbetreibenden belegt wurden. Seit 2006 gibt es in einem Gebäude unter dem Namen  “Alte Zuckerfabrik”  Probe- und Veranstaltungsräume der alternativen Kulturszene.

 

Sanierungsprojekt der GAA - Gesellschaft für Abfallwirtschaft und Altlasten Mecklenburg-Vorpommern mbH: VENOC

An der Neubrandenburger Straße im Ortsteil Brinckmansdorf der Hansestadt Rostock, entlang des Bahndammes der Strecke Rostock – Stralsund und nahe der Oberwarnow, liegt die Fläche der ehemaligen Vereinigten Norddeutschen Chemiehandel GmbH (VENOC).
Seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts unterlag der Standort einer wechselnden gewerblichen und industriellen Nutzung. Bis 1991 wurden auf der Fläche Chemikalien gelagert und umgeschlagen. Dabei kam es auf mehreren Teilflächen zu erheblichen Verunreinigungen des Bodens und des Grundwassers mit Lösungsmitteln (LHKW).

Seit 2008 wird ein umfassendes Grund- und Oberflächenwasser-Monitoring durchgeführt und laufend ausgewertet. In Auswertung der bisherigen umfangreichen Untersuchungsergebnisse wurde festgestellt, dass von der Altlast keine akuten Gefahren für die Umwelt, die Anwohner und die Trinkwasserversorgung der Hansestadt ausgehen.
Das Ziel der Sanierung ist auf den Flächennutzungsplan der Hansestadt abgestellt. Dieser sieht in seiner aktuellen Fassung für das ca. 8 ha große Areal eine Grünfläche vor. Für die Herstellung dieser Grünfläche ist in enger Abstimmung mit dem zuständigen Staatlichen Amt für Landwirtschaft und Umwelt Mittleres Mecklenburg (STALU MM) ein geeigneter Sanierungsplan erstellt worden, um Konzentrationsspitzen bei den unsanierbaren Belastungen im Grund- und Oberflächenwasser (z.B. durch Starkregen) zu verhindern. Durch die behördlich abgestimmte und engmaschige Überwachung des Grund- und Oberflächenwassers sowie einem Ereignismanagementplan wird zu jeder Zeit gewährleistet, dass auch zukünftig keine relevanten Belastungen des Oberflächengewässers Warnow auftreten können.
Um die Sanierungsziele zu erreichen, wurde das Gelände zwischen 2018 bis 2022 mit gering wasserdurchlässigen, unbelasteten und zertifizierten Böden (Z0) mit einer Mächtigkeit von mindestens 0,5 m uhrglasförmig abgedichtet. Lokale Hotspots im Boden, wie z.B. ein ehemaliges Abwasserpumpwerk oder ein kontaminierter Erdwall, wurden dafür zuvor entfernt und gesetzeskonform entsorgt. Diese Vorgehensweise entspricht den behördlich festgelegten Sanierungszielen und ist an diesem Standort die verhältnismäßigste Maßnahme zur Gefahrenabwehr.
Zusammen mit der DB Netz AG wurde das am nördlichen Bahndamm befindliche Einlaufbauwerk zwischen 2020 und 2021 erneuert. Diese Maßnahmen wurden wegen der örtlichen Lage innerhalb der Trinkwasserschutzzone II von einer Grundwasserhaltung und -abreinigung flankiert und mittels Monitoring zusätzlich überwacht. Mit Hilfe dieser Kooperation konnte ebenfalls ein weiterer Hotspot des Geländes beseitigt werden.

Aufgrund der Flächengröße und der Zuordnung der Maßnahme handelte es sich um einen naturschutzrechtlichen Eingriff nach § 14 BNatSchG, der mit einem entsprechenden Ausgleich zu kompensieren war. Diese naturschutz- und artenschutzrechtlichen Ausgleichsmaßnahmen wurden je nach Baufortschritt auf der Fläche angelegt und etablieren sich seitdem. Es handelt sich hierbei um die Anlage von Hecken- und Baumpflanzungen, Feldgehölzen sowie der Wegebau hin zu den gesicherten Grundwassermessstellen, die während und auch nach der Sanierung weiterhin beprobt werden. Der Großteil des Areals wird der natürlichen Sukzession überlassen.
Die ehemal. VENOC-Fläche soll in Zeiten des Artensterbens und der Erhaltung der Biodiversität ortsansässigen Lebewesen, darunter auch geschützte Arten wie z.B. der Neuntöter, und bereits etablierten faunistischen Strukturen Heimat bieten und sich an das im westen gelegene NATURA2000-Gebiet anschließen.
Quelle: https://www.gaa-mv.de


Die Gründung der Rostocker Aktien-Zuckerfabrik

"Als Napoleon bei der Eroberung Europas 1807 die Kontinentalsperre verhängte, war für die bürgerlichen Schichten Mitteleuropas das Süße Leben zu Ende: Die Sperre verhinderte die Einfuhr von Zuckerrohr aus Übersee.
1784 griff der Preuße Franz Carl Achard die Idee seines Lehrers Marggraf auf, aus Runkelrüben Zucker herzustellen. 1801 gründete er die erste Rübenzuckerfabrik in Kunern / Niederschlesien. Gefördert durch Napoleons Kontinentalsperre, begann der Siegeszug des Rübenzuckers. Aber noch in der Biedermeierzeit war Zucker so kostbar, dass silberne Zuckerdosen abschließbar waren. (Schaubild Zuckerfabrik)
Der Zuckerrübenanbau in Mecklenburg begann relativ spät, erst in der Mitte der 1879er-Jahre. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich die deutsche Rübenzuckerindustrie bereits etabliert und den Weltmarkt erobert. Zur Verarbeitung der Zuckerrüben wurden die Zuckerfabriken, zumeist als Aktiengesellschaften, vorwiegend von Gutsbesitzern gegründet.
1872 entstand die erste Mecklenburger Zuckerfabrik auf dem von der Rostocker Zuckerfabrik AG erworbenen Rittergut Groß Lüsewitz." 1
Da es weder befestigte Straßen und eine Eisenbahnstrecke gab, bereitete der Transport große Schwierigkeiten. Die Beheizung der Kessel mit Torfsteinen war zu aufwendig, so dass nicht rentabel produziert werden konnte. 1876 wurde der Betrieb eingestellt und das Gut Groß Lüsewitz und die Zuckerfabrik versteigert. 2

Der Rostocker Geschäftsmann Wilhelm Scheel (1829 – 1908) betrieb seit 1870 an der Kessiner Chaussee (Neubrandenburger Straße) eine Fabrik zur Herstellung von Wagenfett. Da er dieses Produkt selbst vertrieb, hatte er engen Kontakt zu vielen Landwirten, die gern die gewinnbringenden Zuckerrüben anbauen wollten. Bereits 1872 gab Wilhelm Scheel eine Anleitung zum Anbau von Zuckerrüben 3 (Anlage) heraus und hatte damit bei seinen Kunden offensichtlich Erfolg.
1882 wurde ein „Aufruf zur Begründung einer Zuckerfabrik zu Rostock" 4 (Anlage) unter den Landwirten verteilt.
Im November 1883 trafen sie sich dann zu einer vorbereitenden Versammlung im Tivoli-Lokal in Rostock. 1905 veröffentlichte Wilhelm Scheel in einer Broschüre die Geschichte der Gründung der Aktien-Zuckerfabrik:
"GRÜNDUNG - Die Rostocker Aktien-Zuckerfabrik betreffend.
Rostock, den 5. März 1905.
Am 17. November 1883 wurde eine vorbereitende Versammlung im Tivoli-Lokale zu Rostock abgehalten, in welcher vorläufig 1.500 Morgen gezeichnet wurden.
Zur definitiven Gründung der Rostocker Aktien-Zuckerfabrik fand am 11. Januar 1884 eine stark besuchte Versammlung statt.
In dieser Versammlung wurde das Statut angenommen und beschlossen, zunächst mit einem Kapital von 600.000 Mk. anzufangen und 600 Aktien a 1.000 Mk. auszugeben. Die sämtlichen 600 Aktien wurden in der General-Versammlung von den Anwesenden gezeichnet und jeder Aktionär übernahm die Verpflichtung, für jede Aktie 5 Morgen Zuckerrüben zu bauen und an die Zuckerfabrik abzuliefern.
Die Aufbringung des Aktien-Kapitals war vorher mit der Rostocker Bank vereinbart in der Weise, daß die Bank die 600.000 Mk. auf  15 Jahre zu 5 % herleihen solle und als Sicherheit 15 Wechsel a 40.000 Mk. von den Aktionären unterschrieben erhalten solle. Von diesen 15 Wechseln solle jedes Jahr ein Wechsel, groß 40.000 Mk., eingelöst werden. Das Statut, welches zur Anlieferung der Zuckerrüben die Aktionäre verpflichtete, gab der Fabrikleitung zur Sicherstellung der Bank das Recht, an die Rübenlieferanten keine Zahlung zu leisten, ehe nicht die 40.000 Mk. von jeder Kampagne zurückgelegt resp. an die Rostocker Bank gezahlt sei.
Dieser Modus hat sich sehr bewährt. Die Aktionäre brauchten gleich nichts zu zahlen. Die Bank zahlte, als sie die 15 Wechsel der Aktionäre erhalten hatte, das ganze Aktien-Kapital, 600.000 Mk., auf einem Brette ein, und die Aktionäre wurden durch die jährlichen Abzüge in 15 Jahren Eigentümer der schuldenfreien Fabrik.
1884 am 17. Januar waren wir so glücklich, unsern Direktor O. Schulze zu finden.
Als der Direktor O. Schulze gewonnen war, wurde gleich der Bau der Fabrik kontrahiert, welche im Herbst schlüsselfertig abgeliefert werden sollte. Bei diesen Verhandlungen stellte sich heraus, daß nur die Sudenburger Maschinenfabrik dies garantieren könne, wenn wir uns zum Bau einer Schwesterfabrik, welche eben in Klützow bei Stargard von Sudenburg gebaut war, sofort entschließen wollten.
In der konstituierenden Versammlung waren gewählt:
   I. In den Vorstand:
1. Herr Professor Paasche,
2. Priester, Gragetopshof,
3. Ohloff, Kösterbeck,
4. Bauinspektor Saniter,
5. Schulze, Mönckhagen.
   II. In den Aufsichtsrat:
1. Herr Wilhelm Scheel, Rostock,
2. Klitzing, Barnstorf,
3. Ritter, Damerow,
4. Ehlers, Benitz,
5. Gebhard, Mönckhagen,
6. Professor Heinrich, Rostock,
7. von Preen, Dummerstorf.
Die dazu berufenen Vorstands-Verwaltungsratsmitglieder reisten mit Direktor Dr. Schulze nach Klützow, fanden diese Fabrik genau so groß, wie wir die Rostocker Anlage gedacht hatten, und da nun in Sudenburg alle Klützower Modelle und Zeichnungen vorhanden waren, so konnte Rostock rechtzeitig im Oktober 1884 die erste Kampagne beginnen.
Sudenburg hatte Wort gehalten und gut geliefert.
Die erste Kampagne 1884/85 hatte nur wenig Rüben zu verarbeiten, verlief aber ohne Unfall und Störung. Im Laufe der folgenden ruhigen Jahre kam aber der Wunsch nach mehr Pflichtrüben und Vergrößerung der Fabrik zur Geltung.
Die auf 6.000 Ztr. Rüben-Verarbeitung angelegte Fabrik konnte mehr leisten.
Am 7. März 1889 wurde einstimmig beschlossen, statt bisher 5 Morgen 6 Morgen Rüben zu bauen, wodurch die Pflichtrüben der Aktionäre sich auf 3.600 Morgen erhöhten.
Am 16. November 1892 beschloß die General-Versammlung, 200 neue Aktien II. Emission, Nominalwert 1.000 Mk., zum Kurse von 130 Prozent auszugeben. Das Kapital, 260.000 Mk., liehen die Aktionäre gegen Wechsel von Wilhelm Scheel zu 5 % und zahlten den Betrag bar an die Fabrik, welche von dem Überpreis gleich 60.000 Mk. dem Reservefonds überwies.
Am 14. November 1893 wurden wieder 200 Aktien III. Emission, Nominalwert 1.000 Mk., zum Kurse von 140 Prozent ausgegeben. Die 280.000 Mk. liehen die Aktionäre von der Mecklenburgischen Hypotheken- und Wechselbank zu 5 %. Die 80.000 Mk. über pari wurden wieder dem Reservefonds überwiesen.
Durch Ausgabe der Aktien II. und III. Emission hatte die Fabrik 1 Million Kapital, 1.000 Aktien, welche 6.000 Morgen zu liefern haben." 5

Diese Dokumente belegen, dass der Unternehmen Wilhelm Scheel einen maßgeblichen Anteil an der Gründung der Rostocker Aktien-Zuckerfabrik hatte.
Auch bei der Wahl des Standortes der Fabrik in Rostock an der Kessiner Chaussee (Neubrandenburger Straße) hatte er wohl ein gewichtiges Wort mitzureden. Dort betrieb er seit 1870 bereits ein Unternehmen und war mit den örtlichen Gegebenheiten bestens vertraut.

Der Betrieb der Zuckerfabrik
Durch die günstige Lage der Fabrik an der Kessiner Chaussee (Plan) und eine Anbindung an den Kanal von der Ober-Warnow zur Marien-Ziegelei konnten die Zuckerrüben auch aus dem Schwaaner und Bützower Umland angeliefert werden. Anders als in Groß Lüsewitz wurden die Kessel mit Steinkohle beheizt, die auf dem Wasserweg aus dem Rostocker Hafen angeliefert wurde. Mit dem Bau der Ribnitzer Eisenbahn 1887-89 bekam die Fabrik dann auch noch einen Gleisanschluss. Der Kristall-Zucker und die Rübenschnitzel konnten per Bahn und auf dem Wasserweg kostengünstig transportiert werden. Die Rostocker Aktien-Zuckerfabrik wurde mit einer jährlichen Rübenverarbeitung von über 1 Mio. Zentner eine der damals ganz großen Fabriken.
Die Ausdehnung der Fabrik ging zeitweise über die Kessiner Chaussee in nordöstliche Richtung (Plan) und in nordwestlicher Richtung über die Bahnlinie hinaus. Wo heute die Mitglieder der IG Oberwarnow e.V. ihre Grundstücke an der Warnow haben, befanden sich die Absetzbecken für das Spülwasser der Zuckerfabrik. An der alten Tessiner Landstraße (Kassebohmer Weg) besaß die Zuckerfabrik ein Mietshaus für festangestellte Mitarbeiter. Die im Archiv der Hansestadt Rostock vorhandenen Statuten und Abrechnungen der Betriebskrankenkasse der Aktien-Zuckerfabrik geben einen guten Einblick in die Arbeitsbedingungen.
Im Statut vom 1.12.1884 heißt es im Artikel 1: "Die Rostocker Actien-Zuckerfabrik zu Rostock errichtet auf Grund des § 60 des Reichsgesetzes vom 15. Juni 1883 für die in ihrer Fabrik zu Rostock beschäftigten Personen eine Krankenkasse unter dem Namen ‚Krankenkasse der Rostocker Actien-Zuckerfabrik mit dem Sitze zu Rostock’." 6
Alle gegen Gehalt oder Lohn beschäftigte der Zuckerfabrik wurden versicherungspflichtig.
Artikel 5: "Als Krankenunterstützung gewährt die Kasse

  1. vom Beginn der Krankheit ab freie ärztliche Behandlung, freie Arznei, sowie Brillen, Bruchbänder und ähnliche Heilmittel
  2. im Falle der Erwerbsunfähigkeit vom dritten Tage nach dem Tage der Erkrankung ab für jeden Arbeitstag ein Krankengeld in Höhe von ⅔ des wirklichen Arbeitsverdienstes des Versicherten, soweit derselbe 4 M für den Arbeitstag nicht übersteigt…“
Der Krankenkassenbeitrag wurde mit 2 ¼ % des Arbeitsverdienstes festgelegt. 1 ½ % hatte das Mitglied zu entrichten und ¾ % die Zuckerfabrik. 6
Aus den Abrechnungen geht die Zahl der Beschäftigten hervor:
1888
Monat 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 12
männl. 32 31 21 19 26 27 27 28 27 28 161 133
weibl. 3                 2 23 24
1890
Monat 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 12
männl. 53 41 40 42 43 45 41 45 39 194 187 193
weibl. 5                 25 27 35
1894
Monat 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 12
männl. 72 62 82 79 72 73 76 73 83 217 235 232
weibl. 2                 14 13 14
1910
Monat 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 12
männl. 42 39 38 37 37 36 35 34 31 35 166 191
weibl. 2 2 2 2 2 2 1 1 2 2 8 9
Krankheitstage
Jahr 1888 1890 1894 1910
männl. 408 361 1109 621
weibl. 43 7 5 0
Sterbefälle
Jahr 1888 1890 1894 1910
männl. 0 2 2 2
weibl. 0 0 0 0

1922 wurde die Betriebskrankenkasse aufgelöst.

Als die Zuckerfabrik 1884 ihren Betrieb aufnahm, gab es an der Kessiner Chaussee kaum Wohnbebauung, so dass die Belästigung durch unangenehme Gerüche während der Zuckerrüben-Kampagnen nur wenige Anwohner betraf. Zeitzeugen berichten allerdings über stark verschmutzte und verstopfte Straßen. Der Stau der Pferdegespanne soll manchmal bis Broderstorf gereicht haben. Da das Abwasser ungeklärt über den Zingelgraben in die Karbeck geleitet wurde, muss es im Bereich Weißes Kreuz – Verbindungsweg zu erheblichen Geruchsbelästigungen gekommen sein. Immerhin war der Stadtpark mit seinen Ausflugslokalen seit 1875 bei den Rostocker Bürgern sehr beliebt. In einem Schreiben des Hafenbaudirektors an das Bauamt vom 5. Juni 1909 wird diese Problematik angedeutet:
   "Auf seitlich angezogene Verfügung lege ich dem Stadtbauamt einen Lageplan, betreffend die Ableitung des Wassers der Zuckerfabrik, mit dem Berichte vor, dass diese Ableitung den Entwässerungsgraben am Verbindungsweg nur einmal, dicht am Durchlass daselbst berührt, dass aber aus dem Plan ersichtlich ist, dass, wenn dieses Abwasser überhaupt riecht und der qu. Bürgervertreter, der durch diesen Geruch belästigt, dem Verbindungsweg promeniert hat, es je nach der Windrichtung sehr möglich gewesen ist, dass der Geruch vom Durchlass im Mühlendamm bis zur Mündung des Verbindungsweges in den Petridamm den Betreffenden begleitet und ihm das Vergnügen des Spazierengehens gestört hat.
Felder und Wiesen müssen gedüngt werden und das qu. Zuckerwasser hat eine so vorzügliche Dungkraft , dass ich schon einmal den Vorschlag machte, zu geeigneten Zeiten die ganzen Wiesen damit zu überstauen; jedenfalls wird aber an eine Kanalisierung des ganzen Grabens in den moorigen Wiesen kaum je gedacht werden können, da die Kosten in keinem Verhältnis zu dem Wohlbefinden eines Spaziergängers stehen, der ja auch anderswo seine Erholung suchen kann.
Da auch sonst die Gräben in vorzüglicher Ordnung sind, dürfte eine abermalige Anregung der Kämmerei, wenn solche sich überhaupt anregen lässt, entbehrlich sein." 7 (Anlage)
   Am 7.11.1916 schreibt das Polizei-Amt der See-Stadt Rostock an die Zuckerfabrik:
"Die alte Klage über die unangenehmen Gerüche aus dem Abwässerungsgraben der Zuckerfabrik während der alljährlichen Betriebszeit ist erneut laut geworden.
Der Übelstand, der letzten Grundes aus der ungenügenden Klärung der Abwässer herrührt, ist in diesem Jahr schlimmer als je, da auch in die Gräben seitlich des Mühlendammes aus dem Abflussgraben der Zuckerfabrik Abwässer übergetreten sind, die dort stehen bleiben und ihre Ausdünstungen verbreiten. Es drängt sich daher die Vermutung auf, dass die eingesielte Strecke über das Ziegeleigrundstück und der Durchlass im Mühlendamm nicht in Ordnung sind.
Wir bitten deshalb, die Abflussverhältnisse zu untersuchen, etwaige Verstopfung in der Ableitung zu beseitigen und durch geordnete Abführung der Abwässer für möglichste Einschränkung der Geruchsbelästigungen der Passanten sorgen zu wollen." 8
   Antwort der Zuckerfabrik vom 3.3.1917:
"Betrifft: Abdichtung der Ableitung der Schmutzwasser auf dem Ziegeleigrundstück.
Es ist leider bei den augenblicklichen Witterungsverhältnissen nicht möglich eine Abdichtung der Abwasserleitung vorzunehmen. Sobald das Erdreich nicht mehr gefroren ist, werden diese Arbeiten sofort in Angriff genommen.
Wir erlauben uns zu bemerken, dass wir nach Schluß der Kampagne, Mitte Dezember, keinen Tropfen Wasser mehr durch diese Ableitung schicken.
Hochachtungsvoll
Rostocker Actien-Zuckerfabrik, Schulze" 9

Die schlecht geklärten Abwässer der Zuckerfabrik gaben in den folgenden Jahren immer wieder einen Grund zur Klage:
    14.11.1925, Schreiben v. Wasserstraßenamt an das Polizei-Amt:
Bei Hochwasser sind Abwässer der Zuckerfabrik in die Oberwarnow gedrückt worden und haben das Rostocker Trinkwasser verunreinigt. 10
   23.11.1925: Abwässer der Zuckerfabrik gelangen nahe der Schleuse in die Warnow.
Bei Hochwasser besteht die Gefahr der Verunreinigung des Rostocker Trinkwassers. 11
   4.12.1925: Einbau einer hölzernen Stauklappe vor dem Zingelgraben beim Einfluss in die Karbeck. Zum Absetzen der Abwässer der Zuckerfabrik wurden Wiesen südlich des Mühlendamms von der Marienkirche gepachtet. Der Schlamm aus den Absetzbecken soll die Wiesen in fruchtbares Ackerland wandeln.  12
   5.2.1926: Das Polizeiamt weist Befürchtungen zurück, dass das Trinkwasser durch die Zuckerfabrik noch einmal verunreinigt werden kann.
Der Tod des Schleusenmeisters steht in keiner Weise mit den Abwässern der Zuckerfabrik in Verbindung. 13
   30.11.1929: Bericht über den Tod von 30 Zentner Karpfen im Bassin am Mühlendamm durch Abwässer der Zuckerfabrik. 14

Das Problem mit der Ableitung des Abwassers der Zuckerfabrik konnte bis zur Betriebseinstellung nach der Bombardierung Rostocks im Mai 1942 nicht gelöst werden. Erst vom 28.2.1949 liegt ein Bericht über die Verrohrung des Zingelgrabens, mit Bau eines Schachtes in Höhe der Großgarage Kröger (am Mühlendamm) und Durchstich eines Abflussgrabens zur Unterwarnow durch die Firma Otto Lange, Bahn- und Tiefbaugeschäft, vor. 15

Weiterführende Literatur

Zuckerrohr und Zuckerrübe: Zwei Pflanzen, die die Welt veränderten (PDF)

1 Halama, Angelika: Napoleon, der Zucker und die Bahn, Mecklenburg-Magazin der SVZ, 26.05.2006
2 Benke, Dieter: Von Klöndör und Raadmaker - Mecklenburger Lebenswelten, Sutton Verlag, 2011
3 Archiv Werner Moennich, Hamburg
4 Archiv der Hansestadt Rostock (AHR), 1.1.3.20. – 1813, Aufruf zur Begründung einer Zuckerfabrik zu Rostock, 1882
5 Archiv Christine Kusch; Scheel, Wilhelm: GRÜNDUNG, Die Rostocker Aktien–Zuckerfabrik betreffend,1905
6 AHR, 1.1.15. - 1199, Krankenkasse der Rostocker Aktien-Zuckerfabrik
7 - 15 AHR, 1.1.13. - 1735, Ableitungsgraben der Zuckerfabrik - Zingelgraben
^Top