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WILHELM SCHEEL - My Life (PDF)

Wilhelm Scheel (6.5.1829 – 28.4.1908), Kaufmann, Unternehmer und Gründer der Chemischen Fabrik an der Kessiner Chaussee (heute Neubrandenburger Straße) sowie Mitbegründer der Aktien-Zuckkerfabrik in Rostock, schrieb 1905 seinen Lebenslauf für die nachfolgenden Generationen seiner Familie auf.
Dieses historische Dokument – und als solches ist es aus seiner Zeit heraus zu betrachten - beleuchtet in vielfältiger Weise das damalige Leben in Rostock, führt es dem Leser plastisch vor Augen. Wilhelm Scheel war aber nicht nur Unternehmer und Königlich Dänischer Konsul, er stiftete 1893 auch den ersten Kleingartenverein Rostocks den „Obst- und Gemüseverein für Rostock und Umgebung“ am Weißen Kreuz, der 1931, ihm zu Ehren, in „Geheimer Kommerzienrat Scheel“, umbenannt wurde und noch heute besteht.
Seine Geburtsstadt Schwaan hat ihn seinerzeit zu Ihrem Ehrenbürger erhoben.

Wilhelm Scheel war  im Jahre 1868 in Rostock neben Friedrich Witte, Joseph Josephi(y), Viktor Siemerling, Pelzer u. a. (z.T. gleichzeitig Mitglieder des Gewebevereins) Mitbegründer des „Allgemeiner Mecklenburgischer Handelsverein“, der Vorläufervereinigung der Mecklenburgischen Handelskammer aus der die heutige Industrie- und Handelskammer zu Rostock hervorging.
Bis zu seinem Tod 1908 war Wilhelm Scheel 37 Jahre Mitglied des Aufsichtsrates der "Vaterländischen Feuer-Versicherungs-Societät zu Rostock auf Gegenseitigkeit" und 18 Jahre dessen Vorsitzender.
Ein weiterer Rostocker Mäzen der Familie war sein Neffe  Prof. Dr. Karl Franz Christian Scheel (geb. 10. März 1866 in Rostock und verst. 8. November 1936 Berlin).  Dieser war Stifter

  1. des Karl-Scheel-Schülerpreises der Physikalischen Gesellschaft zu Berlin e.V., der seit 1994 jährlich an die/den beste/n Abiturientin oder Abiturienten der Großen Stadtschule zu Rostock, ab 2006 des Innerstädtischen Gymnasiums Rostock, im Leistungsfach Physik verliehen wird.
  2. des Karl-Scheel-Preis der Physikalischen Gesellschaft zu Berlin e.V., der für herausragende, wissenschaftliche Arbeiten an Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler seit 1958 jährlich in Berlin vergeben wird.
Die Chemische Fabrik Wilhelm Scheel wurde von der bisherige Einzelfirma 1958 zwangsweise in eine Kommanditgesellschaft mit „staatlicher Beteiligung“ umgewandelt und firmierte fortan als Wilhelm Scheel K.G. Chemische Fabrik Rostock.
Am 16. April 1972 erfolgte dann die vollständige Verstaatlichung (Enteignung), wobei die Firma Scheel als Teilbetrieb in die VVB IKS Schiffbau aufging (Vereinigte Volkseigene Betriebe Industrie Kooperation Schiffbau).
Dieser Teilbetrieb verlor aber über die Jahre hinweg zunehmend an Bedeutung, produzierte teilweise gleichwohl in diesem Rahmen noch bis 1989/Anfang 1990 weiter bzw. wurde zuletzt als Lagerplatz verwendet. Ab 1990/1991 war dann auf dieser Betriebsfläche wegen ungeklärter amtlicher Zuständigkeiten zunächst jahrelang eine Industriebrache entstanden. Zwischen ca. 2005 – ca. 2010 geschah dann schrittweise die vollständige Demontage dieses geschichtsträchtigen Betriebes. Derzeit erfolgen auf einer Teilfläche dieses ehemaligen Unternehmens Bepflanzungen. Weitere Planungen sind nicht bekannt.

Dank an Werner Moennich (Ururenkel von Wilhelm Scheel) aus Hamburg und Christine Kusch (Tochter von Wilhelm-Sibrand Scheel), die diese Veröffentlichung möglich machten. (s. a. 100 Jahre Wilhelm Scheel)
Berth Brinkmann   

WILHELM SCHEEL - Mein Lebenslauf

Die 60 Jahre 1845 - 1905 welche köstlich gewesen,
weil sie Mühe und Arbeit gewesen sind.

    Am 6. Mai 1829 wurde ich zu Schwaan, dem kleinen Städtchen in Mecklenburg-Schwerin, als Sohn des Bäckermeisters und Gastwirts Friedrich Martin Scheel und seiner Ehefrau Marie, geb. Gaedt, geboren und besuchte die dortige Volksschule, bis ich Palmarum 1845 konfirmiert wurde. — Ich galt als leidlich begabter, guter Schüler, wenngleich ich dieselbe Schule zuletzt im sehr strengen Winter 1844/45 11 Wochen heimlich schwänzte und mich im Rauchen und anderen verbotenen Dingen trotz strenger Kälte, 21 bis 26 Grad, im Schwaaner Lindenbruch übte und mich herumtrieb.
    Am Tage nach Ostern 1845 benutzten meine Eltern einen als Beiwagen der Post, die damals von Rostock nach Hamburg zweimal wöchentlich auf unchaussierten Wegen verkehrte, zurückkehrenden Schlitten, um mich mit meinen wenigen Habseligkeiten von Schwaan nach Rostock zu spedieren. Im letzten halben Jahre hatte ich als Schüler in Schwaan ein wildes Leben geführt, und mein lieber Lehrer Gustav Schulz ermahnte mich mit Sorge, von jetzt an doch ein anderer, ordentlicher Mensch zu werden.
    Diese scharfe Ermahnung hatte mich, den bis dahin zügellosen Jungen, mehr als der Abschied aus dem lieben Elternhause ergriffen. Mit festen Vorsätzen trat ich abends ins Geschäftslokal meines Lehrprinzipals Moritz Rehberg, eine Träne fiel auf die Hand, mit der ich den Türdrücker erfaßt hatte. Mein Lehrprinzipal, ein strenger, rechtlicher, eben verheirateter Mann, betrieb ein Materialwaren- Detailgeschäft, strebte auch nach größerem Betriebe.
    Im Mietslokale der Posthalterin Wwe. Töppel an der Rostocker Stadtwaage hatte der geräumige Laden seinen Eingang von der Mönchenstraße, der Wage gegenüber, während bei dem Eckhause der Eingang zur Wohnung von der damaligen Poststraße, jetzt Krämerstraße, stattfand. An den Laden schloß sich ein Kontor, 12 Fuß lang und 12 Fuß breit. Dies Kontor, ein Vorbau, stand aber mitten auf der jetzigen Krämerstraße, dem Hause von A. F. Dolich gegenüber. Infolge seiner Lage mit 3 Seiten auf offener Straße hatten die drei Lehrlinge aus hohen Fenstern mit kleinen Scheiben die großartigste Aussicht auf die Poststraße, den Vogelsang bis zur Marienkirche und in die Kibbenibberstraße.
    Die grimmige Kälte, die Mitte November 1844 einsetzte und bis nach Ostern 1845 ununterbrochen dauerte, hatte eine so starke Eisdecke erzeugt, daß noch nach Ostern auf dem Eise die damaligen mit 2 Pferden bespannten Strandwagen, die sonst das Getreide von den Speichern in die Seeschiffe zum Rostocker Strande lt. Privileg zu befördern hatten, mit ihren Lasten gleich nach Warnemünde fuhren und dort die Schiffe beladen wurden. Diese Transporte auf dem dicken Eise waren noch mehrere Wochen nach Ostern im Gange. Die Lage unseres Ladens an der Mönchenstraße (der sogen. Pfingstmarktstraße) brachte uns manchen Nutzen, indem auswärtige Käufer, die gekommen waren, ihre Pfingstmarkts-Einkäufe bei den Hamburger Kaufleuten Alexander oder Ascher zu machen, sich bei uns bedienen ließen und große Einkäufe machten, weil sie uns auch für Hamburger Kaufleute hielten. Mit großen Frachtwagen kamen diese Hamburger Kolonialwarenhändler Alexander und Ascher, und durften 14 Tage in Rostock abgabenfrei handeln. Alexander hatte seine Niederlage uns gegenüber beim Weinhändler Ahlers, jetzt Bencard. H. Ascher stellte seine Waren: Kaffee, Reis, Zucker, Gewürze und Südfrüchte, unten in der Mönchenstraße, damals in dem Tapetenfabrikhause A. F. Dolich, jetzt Fischhandlung Janzen, aus. Wir Lehrlinge wurden zur Kontrolle angehalten, damit die Hamburger Konkurrenten keine Stunde vor dem 2. Pfingsttage, nachmittags 4 Uhr, und nicht länger als Sonnabend abend in der zweiten Pfingstmarktswoche ihre Niederlagen offen hatten.
    Vielfach wurde auch schon damals das Gesetz umgangen, so daß die Hamburger Händler den Käufern die Waren nach Schluß des Pfingstmarktes lieferten, indem sie vorgaben, daß die Waren während des Pfingstmarktes bestellt seien und erst jetzt abgeliefert werden könnten, weil dies bis dahin nicht möglich gewesen sei. Die Gewohnheit, während des Pfingstmarktes ihre Waren billiger durch die Preiskurants von Haus zu Haus zu empfehlen, eigneten sich auch die Rostocker Kolonialwarenhändler H. C. Philibert, L. Sarkander, Moritz Rehberg und andere an. Ich gab mich der Überzeugung hin, daß unser Geschäft den größten Vorteil zog und unser Geschäft das lebhafteste sei.
    Von meiner Lehrzeit, 3 Jahre von Ostern 1845 ab, schenkte mir mein Prinzipal, wie er sagte, wegen guter Führung 3 Monate, und ich nahm Neujahr 1848 eine Stelle beim Kaufmann Adolph Becker als Kommis mit 80 Talern Gehalt per Jahr an. Mein gelehrter Prinzipal hatte in dem damaligen Weltgeschäft Rostocks, Saniter & Weber, seine Lehrzeit bestanden und in Frankreich, England und Stettin jahrelang konditioniert; derselbe war ältester Sohn des ersten Pastors Becker an der St. Marienkirche. Wir hatten außer kleinem Warengeschäft das größte und schönste Lager von Zigarren bis zu den teuersten Preisen.
    Bei Becker hatte ich eine Vertrauensstellung, viel zu wenig Arbeit und viele Langeweile, benutzte aber meine freien Stunden, um bei der uns gegenüber wohnenden Frucht- und Delikatessenhändlerin Wwe. Flättner, früher verwitwete Meyer, Blutstraße Nr. 7, die Bücher zu führen, wofür ich pro Jahr 3 Louisdor erhielt. Am 23. März 1851 verließ ich Beckers und Rostock, um am 1. April 1851 eine Stelle am Kontor des Schiffsprokureur Carl Ferd. Unger, Hamburg, dem Bevollmächtigten der Hamburg-Magdeburg-Prager Dampfschiffs-Schleppgesellschaft, anzutreten. Mein Gehalt betrug nur 500 Mk. pro anno, aber meine Eltern, die mich nicht darben lassen wollten, sicherten mir vierteljährlich 50 Taler, also 150 Mk. Zuschuß zu. Die ersten 50 Taler hatte ich bei meiner Abreise aus Schwaan erhalten.
    Am 15. April 1851 hatte ich davon noch 30 Taler in Kassa, und als mir mein Vormund, Maurermeister C. Woderich, Schwaan, schrieb, daß der Erlös aus der großen Wirtschaft, aus zwei Wohnhäusern, vielem Acker und Anspannung bestehend, einen ferneren Zuschuß aus dem Elternhause nicht zulassen würde, war ich ganz verzweifelt und beschloß, durch Tätigkeit als Vermittler für meine Mecklenburger Freunde, als Kommissionär in Hamburg mir Nebenverdienste zu schaffen.
    Die eben genannten 30 Taler Preußisch, — 75 Mk. Hamburger Kurant, wurden als Betriebskapital in meine doppelt italienische Buchführung eingetragen.
    Dies kleine Kapital rührte ich nicht an, wenngleich ich die nächsten 8½ Monate oft Not litt, kein Mittag aß und von Kaffee und Semmel lebte. — Nur einmal, als mich mein lieber Onkel Rentier Chr. Ahrens aus Rostock besuchte, hat dieser väterliche Beschützer mich zu Mittag mit warmer Kost regaliert.
Meine kleinen Geschäfte bestanden im Ankauf und Versand von Tauben an meinen früheren Prinzipal Rehberg in Rostock, im Ankauf (Bestellung in England) von Kupferplatten und Kupfernägeln von Samuel Watkinson in Altona für meinen Onkel Kupferschmied W. Hübner und in Waren für Kunden und Freunde in Schwaan, siehe Frau Stoldt, Schwaan.
    Brachten auch diese kleinen Geschäfte mir keinen erheblichen Nutzen, so beschäftigten sie mich doch anregend und füllten meine freie Zeit nützlich aus. Im Dezember 1851 machte mir mein Lehrprinzipal Rehberg die Mitteilung, daß er mich zur Besetzung einer Kommisstellung seinem Freunde Ernst Schmidt in Rostock empfohlen habe. Am 16. Dezember trat ich zunächst eine Besuchsreise zu meiner Schwester Rendantin Hoch nach Worin an. — Der Umstand, daß die zugesagten Zuschüsse aus dem Elternhause aufhören mußten, war mir zum Glücke ausgeschlagen. Nie hatte ich den Rest derselben, 30 Taler, wieder an gerührt, sondern mit peinlichster Sorgfalt jeden Pfennig Einnahme und Ausgabe gebucht.
    In Hamburg hatte ich keinen Schilling Schulden, sondern hatte lt. Buch, statt des Grundstocks von 30 Talern, 61 Taler 26 Schilling, mit denen ich nach Mecklenburg zurückkehrte und am 1. Januar 1852 meine Stelle beim Herrn Ernst Schmidt antrat. In dieser Stellung, wo Schmiedeeisen und Schmiedekohlen an einen großen Kundenkreis von Schmieden und Schlossern verkauft wurden, befand ich mich sehr wohl, zumal auch mein lieber, sehr reeller Prinzipal es an Beweisen seiner Zufriedenheit mit mir nicht fehlen ließ.
    Wir bezogen außer Stangeneisen aus Stockholm und England große Dampferladungen Hanf von St. Petersburg, den wir an die großen Schiffs-Reifereien in Rostock und an sämtliche Seiler und Fischer im Inlande Mecklenburgs mit reellem Nutzen regelmäßig absetzten.
    Nachdem der Krimkrieg ausgebrochen und deshalb von Rußland kein Hanf mehr bezogen werden konnte, stiegen die Preise zu exorbitanter Höhe. Wir hatten ein bedeutendes Lager für unsere laufende langjährige Kundschaft aufgespeichert, aber trotz der Sorge, wie wir später unsere treue Kundschaft befriedigen sollten, ließen wir uns doch verlocken, den größten Teil unseres Lagers, welches zu 13 Talern p. Schiffspfund von 336 Pfund Hamb. Gewicht eingekauft war, zum Preise von 28 Talern en gros nach Lübeck wegzuschlagen. Der derzeitige Agent F. W. Folsack ließ uns gar keine Ruhe. Unsere inländische Kundschaft wurde mit inzwischen bezogenem polnischen Hanf auch nicht schlecht bedient. — Wir hatten Geld wie Heu verdient. Mein feiner Prinzipal Schmidt, auch Sohn eines Pastors, blieb bescheiden und ließ es nicht merken, daß er über Nacht ein reicher Mann geworden.
    Auch mir war diese aufregende Zeit nicht zu Kopf gestiegen, aber der in Hamburg erwachte Drang, für eigene Rechnung meine kleinen Geschäfte zu treiben, ließ mich nicht ruhen. Den Kunden, Schmieden etc. verkaufte ich mit einem Nutzen von 8 Schilling p. ¼ Kiste schöne Zigarren, die ich von Hamburg bezog.
    Die Verwandten meines Prinzipals, wohlhabende Landleute, schenkten mir so viel Vertrauen, daß sie mir die während der Sommermonate nicht verkaufte Butter, oft 10 bis 30 1/3 Tonnen, anvertrauten. Es hatte sich unter ihnen die allerdings begründete Überzeugung gebildet, daß der kleine Wilhelm Scheel die besten, reellsten Preise herausholte. Ich war glücklich darüber, daß alle Welt mit mir zufrieden war, benahm mich gegen jedermann gefällig und aufmerksam. Die 4¼ Jahre, die ich in dieser Stellung verlebte, waren fast die glücklichsten meines Lebens. Ich verschmähte aber daneben nicht, zahlreichen Klempnern mit Nutzen von 12 Schillingen p. Kiste diverse Kisten Weißblech, von Hamburg bezogen, zu liefern. Für Optikus Paetsch lieferte ich seinen Bedarf an Messing.
    Mein Prinzipal Schmidt legte mir nichts in den Weg, betrachtete vielmehr meine Rührigkeit mit Wohlwollen.
    Der Schwaaner Bürgermeister, welcher dort im Hause meiner Mutter wohnte. Herr Daniel, war dem strebsamen Schwaaner Jungen sehr gewogen: Als Oberhaupt der Stadt, welche auch einen bedeutenden Ziegeleibetrieb hatte, war es ihm möglich, weil ich billiger als andere liefern konnte, mir 100 Last Steinkohlen zu 12¾ Talern p. Last p. Prahm franko Schwaaner Ziegelei abzukaufen. Der Agent F. W. Martens in Rostock hatte sich mit Kohlen überladen und verkaufte mir eine Ladung so preiswert, daß ich an dem Schwaaner Geschäft 60 Taler verdiente. Aus Freude über diesen ersten großen Verdienst stand ich die Nacht Baum in meinem Bett und werde die Nacht nie vergessen. Als Gegendienst kaufte ich von der Schwaaner Ziegelei 51 Mille Mauersteine zu 10½ Talern und lieferte dieselben zum Bau des Gefangenhauses für das Amt Toitenwinkel zu Rostock zum Preise von 13 Talern pro Mille frei Bauplatz. Fuhrlohn war wegen des Privilegiums der Karrenfahrer damals noch sehr hoch, so daß ich nur eine kleine Provision bei dem Steingeschäfte verdienen konnte.
    Längst war es mein Wunsch, eine Stelle als Reisender zu bekleiden, weil ich die Kunden im Inlande kennen zu lernen wünschte. Ich verließ im April 1855 meinen lieben Prinzipal Schmidt und ging fast gegen Schmidt's Wunsch in das große Geschäft des Herrn Ernst Brockelmann, welcher Korrespondent-Rheder von 40 großen Segelschiffen war, eine Seifenfabrik nebst Ölmühle und mit seinem Getreidehandel das größte Geschäft betrieb, welches Mecklenburg je gesehen hat.
    Meine Erwartungen hatten sich nicht erfüllt. Ich fühlte mich anfangs nicht am Platze, mir fehlte die Schmidt‘sche, peinliche Ordnung. Die Buchführung war 2½ Jahre im Rückstände, weil der Schwiegersohn Theod. Schwarz, dem dies früher obgelegen, so lange als politischer Staatsgefangener in Bützow inhaftiert war. Dem Lehrling Carl Trendelburg aus Wismar und mir wurde die Arbeit überwiesen, das Versäumte in den Büchern nachzuholen. Ich glaube noch heute, daß der alte Herr Brockelmann uns seine Anerkennung für die mit größtem Fleiß überwundene Arbeit ausdrücken wollte, als er jedem von uns am Weihnachtsabend heimlich 20 Louisdor extra zusteckte.
    Während des Krimkrieges durften neutrale Schiffe in russischen Häfen verkehren, und diesen Umstand erfaßte der unternehmende Ernst Brockelmann, indem er unsern Kassier Gustav Kindler und seinen Sohn Carl Brockelmann nach Galatz sandte und dort und in Braila viele Schiffsladungen Weizen und Mais aufkaufen ließ, die von Rostock aus meist nach England verkauft wurden. Die Konjunktur begünstigte anfangs diese Unternehmungen, der Preis für den kleinen Scheffel Weizen war, als Gustav Kindler abreiste, 2 Taler 28 Schilling und stieg im Laufe der ferneren Monate auf 4 Taler und darüber.
    Der nimmer ruhende Ernst Brockelmann wurde unersättlich. Der Appetit war zu groß geworden. Die Geschäfte aus den russischen Häfen waren zu Ende des Jahres 1855 nicht einmal abgewickelt, als große Ankäufe von Roggen in Amerika kontrahiert wurden und die Schiffe zum Transport der Massen Roggen nach Europa zu teuren Schiffsfrachten gechartert wurden.
    Diese Unternehmung schlug aber fehl. Die Roggenpreise gingen zurück, die zu hohen Frachten gecharterten Schiffe wurden anderweitig ausgeboten, mit Baumwolle oder anderen Waren befrachtet aber die Differenzfrachten kosteten uns ein Heidengeld.
    Der persönlich sehr bedürfnislose Ernst Brockelmann ließ sich leider in Güstrow auf ein zweifelhaftes Unternehmen ein.
    Seinem Schwiegersohn Schwarz, der noch in Bützow in Untersuchungshaft saß, konnte er nicht verzeihen, daß er nach des Schwiegervaters Meinung seine Mitangeklagten Gebr. Wiggers u. a. durch seine Geständnisse belastet hatte, und deshalb wollte er Theodor Schwarz nicht wieder in Rostock sehen.
    Brockelmann redete sich selbst ein, er müsse Schwarz in Güstrow eine Existenz gründen.
    Nach meiner Meinung handelte es sich aber nicht um Schwarz' Existenz, sondern der alte Herr Brockelmann wollte mit der Gründung einer großen Maschinenfabrik und Eisengießerei Geld verdienen.
    Dem bis dahin vom Glück begünstigten, unternehmenden, bedeutenden Geschäftsmann kehrte das Glück den Rücken. Das amerikanische Geschäft hatte schon viel Geld gekostet, und die im großen Stil anzulegende Fabrik in Güstrow verschlang viel Geld. Als nun gar in den letzten Monaten des Jahres 1857 in Hamburg die Geldkrisis ausbrach, zeigte sich auch bei uns, daß die Mittel knapper wurden, reiche Gönner und Freunde zeigten sich zurückhaltender. Als in Hamburg die größten Häuser notleidend gesagt wurden, selbst teilweise fielen, hatte auch unser Kredit einen Stoß bekommen, an dem die Firma krankte, bis sie langsam zugrunde ging.
    Mich hatten zwar diese Erlebnisse und Umstände sehr vorsichtig, fast ängstlich gestimmt, aber als mein Jahreseinkommen aus meinem Salär und aus meinen Nebengeschäften ca. 1000 Taler betrug, hatte ich doch die Courage daraufhin, meinen eigenen Herd zu gründen und mich mit der 24 Jahre alten, ältesten Tochter Wilhelmine des Advokaten C. F. Baeder zu Rostock zu verloben.
    Meine Aufnahme als Bürger und Kaufmann in Rostock datiert vom 14. September 1857 und kostete damals noch mehrere hundert Taler.
    Mein Schwiegervater, der durch seine Tüchtigkeit als Anwalt bei einfacher Schreibpraxis sich mehr als ein nettes Vermögen erworben hatte, praktizierte nur noch wenig, versuchte sich in Geldgeschäften, die er zusammen mit dem Auktions-Sekretär Schwahn, Kontor Burgwall Nr. 1, betrieb. Seine Praxis gab er auf, kaufte und verkaufte dagegen an der Berliner Börse die aus den Bankzeitungen herausstudierten Bankaktien, namentlich Dessauer, Genfer, Thüringer, Bremer und andere. Über meinen Eintritt in seine Familie war der alte Herr sehr erfreut, er überschätzte meine Tüchtigkeit sogar, aber suchte mir oft begreiflich zu machen, daß die Artikel, mit denen ich Handel trieb, Arbeitslohn erforderten, während bei seinen Papieren, Aktien etc. dies nicht der Fall sei. Ich will nicht sagen, daß ich zur Börsenspekulation durch ihn verleitet worden, aber an Aufmunterung dazu hatte der alte Herr, dessen Gelehrsamkeit und Kenntnis mir imponierten, es nicht fehlen lassen.
    Von Anfang des Jahres 1858 an kaufte ich durch die Weltfirma Breest & Gelpcke in Berlin auch schon Bankaktien und gewann an solchen wohl im ganzen 1000 Taler im ersten Halbjahre 1858. Am 13. August 1858 steuerte der glückliche Advokat Baeder die opulente Hochzeit seiner Tochter Wilhelmine aus. Wir jungen Eheleute bezogen ein bescheidenes Heim an der Ecke der Grube und Hartenstraße, wo wir bei Bäcker Hermann Methling 7 Jahre wohnten.
    Zwei Schwestern meiner Frau
1. Marie, heiratete Dr. Eduard Mahn nach Ribnitz, jetzt Warnemünde;
2. Elise, heiratete den Kaufmann Naeser zu Dippoldiswalde in Sachsen.
    Der einzige Bruder, Fritz Baeder war wenig begabt, von seinem Vater trotz aller Bitten der verständigen Mutter, geb. Detharding, vernachlässigt.
    Meine Offenheit, mit der ich meinem Schwiegervater die Erfolge meines Geschäftes zeigte, hatte bei dem alten Herrn die fixe Idee gezeitigt, seinen Sohn als Kompagnon meiner Firma zu platzieren, damit er für alle Zukunft versorgt sei. Gleich nach der Hochzeit in zweiter Hälfte August 1858 brachten die gute Mutter und Schwester Marie, damals Braut von Ed. Mahn, den väterlichen Wunsch offen vor. Die Eile und Energie, mit welcher der mir nicht sympathische Plan verfolgt wurde, reizten meinen Widerstand. Ich durfte keinen Kompagnon nehmen. Vater Baeder, an Oppositionen in seiner Familie nicht gewöhnt, verfolgte seinen Plan, indem er mir größere Mittel zur Erweiterung meines Geschäftes zu oktroyieren versuchte. Mein Entschluß stand aber so fest, daß ich trotz aller Mühen des Vaters bei der Ablehnung blieb.
    Am 29. Juli 1861 starb meine teure Schwiegermutter in Warnemünde.
    In nicht zu langer Zeit hatte der Witwer eine zweite Frau in Wilhelmine Beutel, Tochter des verstorbenen Predigers Beutel zu Polchow, gefunden. Diese verständige Dame gab sich unausgesetzt Mühe, mich zu versöhnen und dem ruhelosen Gatten Baeder wieder zuzuführen. Ich mußte mich ablehnend verhalten, weil der Stein des Anstoßes sich durch Sohn Fritz noch vergrößert hatte.
    Bei meinem dauernd ablehnenden Verhalten bemühte sich der auf sein Geld pochende Vater mir zu zeigen, daß er und sein Sohn Fritz auch ohne mich kaufmännische Geschäfte machen könnten. Als wünschenswertes Geschäft trachteten Vater und Sohn nach der vom Alten als Hochbegriff des Rastocker Kaufmannes angesehenen Stellung eines Korrespondentrheders. Sie hatten ja schon den Anfang, 2 kleine Segler, dazu. Der eine kleine Segler, bis dahin "Licence" genannt, wurde zu Ehren des berühmten Vorfahren von Baeder auf "Heinrich Sibrand" umgetauft.
    Die Brüder, Reifermeister Carl Baeder und Kaufmann Adolph Baeder, schüttelten mit den einsichtigsten Rostocker Geschäftsleuten die Köpfe bedenklich, als Doktor F. C. Baeder & Sohn Fritz sich mit dem wilden Paul Schneider, der hauptsächlich ohne Erfolg sein Rostocker schönes Schiff in chinesischen Gewässern gefahren und verloren hatte, einließen und ihm zum Bau eines neuen Schiffes, "China" genannt, das große Part von 20.000 Talern rhedeten. Solange Kapitän Paul Schneider sein neues Schiff in Rostock auf dem Stapel hatte und seine Rheder die Baugelder willig einzahlten, war alles gut, als aber das schöne Schiff von der Schnickmannsbrücke unter Hurra des Korrespondentrheders Baeder abfuhr, hielt ich das Baeder'sche Kapital von 20.000 Talern von dem Moment ab verloren, was auch wirklich der Fall war.
    Zu Anfang des Jahres 1859 betrug mein Betriebskapital 9029 Taler 6 Schilling. Mein Kolonialwaren-Geschäft ging gut. Das Jahr 1858 hatte an Verdienst 3898 Taler 7 Schilling abgeworfen. Aber schon in den ersten Tagen des Jahres 1859 tauchten von Frankreich her Kriegsgerüchte auf, und im April war der Krieg in vollem Gange.
    Die Berliner Börse war sehr aufgeregt, die Kurse für Bankaktien, von denen ich und auch Vater Baeder reichlich viel besaßen, sanken mit jedem Tage. Während der aufregenden Wochen und Monate bis Juli hielt ich mich verloren und dem Bankerott nahe.
    Jetzt betrachte ich diese Ereignisse als mein Glück; ich gelobte mir, nicht wieder nach Reichtum zu streben, mich von jeglichen Papierspekulationen frei zu machen und mir an meinem schönen, ruhigen Warengeschäfte genügen zu lassen. In aller Ruhe machte ich meine Geschäftsreisen und befand mich am 13. Juli 1859 im Schönrock’schen Gasthause zu Neubukow, als die Mittagspost auch die Depeschen mit der Nachricht vom Friedensschluß von Villafranca brachte, den Kaiser Franz Joseph und Napoleon III. am 11. Juli 1859 geschlossen hatten.
    In meinem Zimmer, eine Treppe hoch, warf ich mich auf die Knie und habe wohl nie vorher inniger gebetet und Gott gedankt, als für diese Rettung vor dem Konkurse.
    Um mich in Rostock nicht in meinem Entschlusse, alle Aktien zu verkaufen, beeinflussen zu lassen, benutzte ich die nächste Post nach Wismar und gab von dort successive telegraphische Aufträge zum Verkaufe der schon etwas gestiegenen Aktien. Meinen größeren Posten Dessauer Kredit-Bankaktien, die mir im Durchschnitt 45 % gekostet hatten, verkaufte mein Bankier Brust & Gelpcke zu 22½ %.
    Als ich in Rostock angekommen, meinem Schwiegervater diese Verkäufe nicht verheimlichte, tadelte er mich heftig.
    Als Beweis aber, daß ich recht gehandelt, indem ich Dessauer zu 22½ % wegschlug, habe ich gesehen, daß Baeders Aktien, die nie Zinsen gebracht, bei seinem Tode nach vielen Jahren zum Kurse von 2½ % veräußert werden mußten.
    Das Jahrzehnt 1858 bis 1868 verlief für Mecklenburg bei gesunden, ruhigen Geschäften gut. Als aber am 11. August 1868 Mecklenburg in den Zollverein eintreten mußte, war Nachverzollung aller Waren angeordnet. Diese Anordnung regte die Kaufleute, die vielfach sich der Hoffnung hingegeben hatten, daß Nachverzollung nicht eintreten würde, sehr auf. Manche große Wareneinkäufe waren gemacht, die nun keinen Nutzen, oft selbst Schäden brachten.
    Trotz allen Gegendemonstrierens wurde die Nachverzollung durchgeführt. Es wurde durch Witte, Josephi, Scheel, Siemerling, Pelzer u. a. der Allgemeine Mecklenburgische Handelsverein ins Leben gerufen, dessen energischen Bemühungen es gelang, daß Se. Kgl. Hoheit Friedrich Franz II. die Härten der Nachverzollung milderte und einen Teil der Nachverzollung, so weit solcher in Mecklenburgs Kasse fließen sollte, vergütete. Mit dem Eintritt in den Zollverein, August 1868, änderte sich mein ganzes Geschäft. Die Kaufleute in den Städten litten große Einbuße durch die Händler auf dem Lande. — Einzelne meiner Artikel, z. B. Sirup, an dem ich jährlich 10-12000 M verdient hatte, hörten für die Kaufleute in den Städten auf.
    Mein ganzes Geschäft mußte umgekrempelt werden.
Wagenfett, ein bedeutender Handelsartikel für mich, konnte nicht mehr wie bisher von Brüssel bezogen werden, wurde aus den Fabriken im Zollverein vorteilhafter und steuerfrei bezogen.
    Weil das Rohmaterial "Harz" aus Amerika aber zollfrei eingeführt werden konnte, hielt ich die Anlage einer solchen Fabrik im Jahre 1870 für rentabel.
    Als ich aber innerhalb 6 Monate die Fabrik gebaut hatte, gewahrte ich zu meinem Schrecken, daß die Händler aus dem Zollvereine ganz Mecklenburg mit so großen Vorräten versorgt hatten, daß in Jahr und Tag kein Bedarf entstehen konnte.
    Meine Absicht, nur bestes, unverfälschtes Fabrikat zu liefern, stand fest, und nur darin konnte ich die zähe Konkurrenz schlagen.
    Bald nutzte ich die Schwäche dieser Konkurrenten, die nur Händler waren, aus, weil sie gar nicht wußten, daß ihre Ware bis zu 50 % mit Gips verfälscht war.
    Mit großer Energie besuchte und belehrte ich mehr als 1000 Konsumenten, die größten und kleinsten Besitzer Mecklenburgs auf dem Lande, mit eigenem Geschirr. Meistens fand ich bei bescheidenem Auftreten gute Aufnahme, auch oft weitere Empfehlung.
    Die auf diese Weise erworbene treue Kundschaft ist noch heute, nach mehr als 30 Jahren, mein Stolz und die sichere Stütze meiner Firma, sie macht mich glücklich.
    Am Bettage vor Weihnachten 1870, abends 6 Uhr, entstand Feuer im Kompositionskessel und äscherte den Fettschuppen ein. Die Destillierapparate blieben betriebsfähig, und schleunigst wurde die kleine Fabrik wieder in Stand gesetzt; der Schaden betrug, wenngleich die Fabrik nicht versichert war, nur ca. 600 Taler. Nach ca. 2 Jahren entstand durch voreiliges Öffnen der kleinen Destillationsblase beim dicken Dreyerkochen wieder Feuer.
    Der größeren Sicherheit halber wurde nun die Destillation aus dem ersten Fabrikgebäude, jetzigen Fettschuppen, entfernt und ganz getrennt von den übrigen Betrieben das jetzige Destillationshaus feuersicher nach Fritz Saniters Projekt gebaut.
    Die auf Abbruch für 150 Taler gekaufte Wendt & Rudeloff'sche Knochenscheune wurde auf meinem Fabrikgrundstück zu einer Wohnung für Geerhahn und zum Lagerraum umgebaut durch Unternehmer Blahn.
    Im November 1876 entstand auf bisher unaufgeklärte Weise, man vermutete Brandstiftung durch einen meiner Arbeiter, wieder Feuer. Weil das Gebäude versichert war, war der Schade nicht groß, und Geerhahn bekam sein besseres jetziges Wohnhaus.
    Zwei weitere Fabrikbrände waren ohne erheblichen Schaden verlaufen. Gegen Feuersgefahr ist die Fabrik nur mit den Vorräten auf dem ersten Hofe versichert. Die Destillation soll unversichert weiter arbeiten.
    Um in der Nähe meiner Fabrik und meiner Leute zu sein, baute ich mir 1876/77 ein kleines Wohnhaus und bin glücklich darüber, weil die Fabrikbrände seltener geworden sind.
    Schon vom Jahre 1874 ab verfolgte ich den Plan, mein Geschäft zu verkleinern, und Artikel, die große Außenstände verursachten, wie z. B. Petroleum, fallen zu lassen. Zwar partizipierte ich nicht an der großen Petroleum-Konjunktur desselben Jahres, welche andere reich machte, aber das bisher in diesen Artikeln arbeitende Geld fand sichere, lohnende Verwendung In 4% tigen Rostocker Hypotheken. Hatte ich vorher Zinsen bezahlt, so nahm ich im Jahre 1899 schon erhebliche Zinsen ein. Diese Zinsen brauchte ich nicht mehr zu verdienen.
    Die Ausstände mit ihren Verlusten waren kleiner geworden, ohne daß mein Jahresverdienst resp. Überschuß wesentlich gelitten hatte, und die ganze Handlung ist zu der Übernahme durch meinen ältesten Sohn und Kompagnon Wilhelm Sibrand vorbereitet.
    An Rückschlägen hat es auch mir nicht gefehlt. Sie haben mich aber stets zur Vorsicht gemahnt und meine Energie gestählt.
    Seit dem 13. September 1855 habe ich ununterbrochen alle Geschäftsreisen persönlich gemacht bis ich dieselben 1885 meinem braven Sohn Wilhelm Sibrand Scheel übertragen habe. Während dieser 30 Jahre bin ich anfangs Tag und Nacht von Stadt zu Stadt auf Posten und Eisenbahnen gefahren, bis ich nach 20 Jahren die Reisen bequemer in schönem, eigenem Fuhrwerk machte.
    Die Strapazen haben meiner Gesundheit nicht geschadet, und dafür kann ich dem lieben Herrgott nicht genug danken, denn ich bin in den 30 schweren Reisejahren keinen Tag ernstlich krank gewesen. Trotz aller Unregelmäßigkeit habe ich mich bemüht, möglichst mäßig im Genuß von Essen und Trinken zu sein: fast jede Nacht habe ich aber ein anderes Quartier aufsuchen müssen.
    In fast 50 Jahren habe ich gesund mein Geschäft geführt, am meisten aber hat mir die genaueste Buchführung und Kontrolle meiner Einnahmen und Ausgaben geholfen, und wenn meine geliebten Kinder, Nachkommen und andere Geschäftsleute diesen Grundsatz aus meinen Aufzeichnungen lesen und annehmen, so ist mein letzter Wunsch erfüllt.
    Mein Geschäft habe ich stets über alles geliebt, es ist mir, als ob es die Braut meines Alters ist, und welche Freude würde es mir sein, wenn ich noch meinen lieben Enkel Werner Scheel als gewissenhaften, dankbaren Mitarbeiter der Firma sehen könnte; seine lieben Eltern haben dem tüchtigen Sohn zum braven Kaufmann die Vorbedingungen beigebracht.
    Ich habe eben noch die Freude erlebt, daß er das Abiturientenexamen bestanden hat, und da er nächstens in die Lehre tritt, will ich ihm noch ans Herz legen, daß mir zum Fortkommen sehr behülflich gewesen sind:

1. Mein Wahlspruch:
"Den Menschen macht sein Wille groß und klein".

2. Mein Prinzip, nichts aufzuschieben:
"Tue, was Du willst, gleich, damit Du immer Zeit hast und nicht zu den Leuten gehörst, die nie Zeit haben, aber sehr wenig tun und beschaffen!"

Rostock, den 5. März 1905
Wilhelm Scheel
Geheimer Kommerzienrat
Kgl. dänischer Konsul

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