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Rostocker Anzeiger 25.05.1894
 
Wilhelm Klöckings kurzes Leben
Thomas Werner

Auf dem Dachboden eines ehemaligen Bauernhauses in Riekdahl fanden sich vor einiger Zeit ein großes gerahmtes Foto eines Soldaten des Füsilierregiments Nr. 90 und ein Bündel Feldpostbriefe.
Aus dem Kontext der Feldpostbriefe ist zu vermuten, dass das Foto im Jahr 1915 aufgenommen wurde.
Rechts unten ist eine Nummerierung auf dem Bild zu erkennen. Es ist anzunehmen, dass der Fotograf eine Reihe von Aufnahmen mit Angehörigen der 90er gemacht hat und dann die Negative mit Nummern versah. Ebenfalls rechts unten ist eine Prägung des Fotografen zu erkennen: Hans Schulz Nachf. Rostock. Wilhelm Götte und Wilhelm Selck führten die Firma Hans Schulz Nachfolger und haben die Vergrößerung erstellt. Ein Stempel auf der Rückseite des Rahmens verrät, dass Götte und Selck das Bild auch gerahmt haben, wohl Ende der 1910er Jahre.
Wilhelm Klöcking wurde 1895 geboren und bewohnte die Hufe 2 in Riekdahl. Das Gehöft wurde seit Generationen von der Familie Niekrenz bewirtschaftet. Wilhelms Mutter, Louise Niekrenz, Jg. 1867, hatte 1887 Heinrich Klöcking geheiratet. Neben Wilhelm gingen die Töchter Frieda und Hedwig aus der Ehe hervor. Die 1890er Jahre waren nicht die besten für die Familie. Am 25. Mai 1894 meldete der Rostocker Anzeiger: „Großfeuer in Riekdahl. Heute gegen 1 Uhr Mittags entstand … auf dem Dungplatze der Klöckingschen Zeitpachthufe Feuer und setzte in der Zeit von ½ Stunde 8 größere Gebäude und 2 Ställe … in Brand.“ Betroffen waren drei Gehöfte. Die Gebäude waren versichert und wurden bis Ende des Jahres 1894 neu aufgebaut. Im März 1895 brannte die Scheune der Hufe 2 ab. Auch diese wurde wiederaufgebaut. Im Dezember 1895 starb der Ehemann und Vater Heinrich Klöcking. Louise heiratete 1896 Joachim Heinrich Boldt. 1897 wurde Tochter Emmi geboren.

Wilhelm Klöcking wurde am 03.05.1915 zum Füsilierregiment Nr. 90 eingezogen.
Die erhaltenen Feldpostbriefe und -karten hatten unterschiedliche Adressaten: seine Schwestern Emmi und Frieda, den Stiefvater, seine Mutter. Bis auf eine Ausnahme wurden alle Briefe von Wilhelm Klöcking geschrieben, von Juli 1915 bis Februar 1917. Die Leserlichkeit der Briefe ist nicht immer gut, hinzu kommen Rechtschreibfehler, welche die Lesbarkeit weiter einschränken. Die im Folgenden aufgeführten Zitate sind deshalb nicht immer buchstabengetreu, dafür verständlich gestaltet. Der Sinn wurde nicht verändert.
Die erste Feldpostkarte wurde am 14.07.1915 im pommerschen Stargard gestempelt. Wilhelm ist Musketier im 1. Ersatzbataillon des Füsilierregiments Nr. 90. „Bin jetzt gut angekommen in Stargard. 9.15 Uhr. Hier bekamen wir schon gefangene Russen zu sehen.“
Es geht weiter in Richtung Osten und es folgt eine Karte aus Tilsit. „Ich hab Euch bis jetzt immer aus der Bahn geschrieben, nun ist die Bahnfahrt aus, die letzte Bahnstation ist Laup… [unleserlich] gewesen, nun geht´s zu Fuß, haben noch ungefähr 7 Tage zu gehen, wir schlafen diese Nacht noch auf Pritschen“
Klöcking gehört nun der 80. Reserve-Divsion an, 80. Reserve-Infanterie-Brigade, Reserve-Infanterie Regiment Nr. 265.
Bis Mitte August ist Wilhelm zu Fuß unterwegs, manchmal werden fast 50 km am Tag zurückgelegt.
Er ist „jetzt bald 5 Wochen von Rostock weg und noch niemals was von Euch gehört, Ihr könnt Euch garnicht denken, wie wir auf eine Karte lauern und nochmehr auf ein kleines Paket, denn immer trocken Brot essen kann einem bald über werden“.
Wenige Tage später, am 16.8. erhält er den ersten Brief aus Riekdahl: „Liebe Eltern! Soeben habt Ihr mir eine große Freude gemacht, es ist der erste Brief von Euch, Ihr könnt Euch garnicht denken, wie ich mich gefreut hab darüber, Ihr schreibt, dass Ihr 6 Pakete abgeschickt habt, ich habe bis heute aber noch nichts empfangen, hoffentlich werden die auch noch bald kommen, dann werde ich aber leben, wie ich in 4 Wochen nicht mehr gelebt hab, denn Fettigkeit und Speck habe ich in dieser Zeit wenig gekriegt. Nun könnt Ihr euch wohl denken, wie oft das trocken Brot und Wasser mein Kaffee oder Früstück gewesen ist und wenn ich die Pakete erst hab, werd ich richtig wieder aufleben, zu Hause mochte ich mancherlei nicht, aber jetzt schmeckt alles, wenn man nur was hat.“
Anfang September sind einige Pakete mit Lebensmitteln angekommen, Wilhelm fragt nach „ein paar hundert Zigaretten und ordentlich Taback“. Er liegt im Schützengraben, wartet auf Russen, hat noch keinen Schuss abgegeben. Der Schützengraben befindet sich nahe des Städtchen Kurkliai, 100 km nordöstlich von Kaunas.
In den nächsten Tagen kann Wilhelms Regiment Geländegewinne machen: „Wir gehen jetzt auch wieder vor und befinden uns jetzt auf der Straße, die von Vilna [Vilnius] nach Dünaburg [Daugavpils] geht, ich glaube wir [kommen] noch nach Petersburg und feiern da Weihnachten“.
Am 17. September sind bereits 40 Pakete angekommen, Wilhelm hat weiterhin Sonderwünsche: „Ihr könnt mir auch mal ein Paket Schmalz schicken, denn das Fett ist sehr knapp hier in Russland“ Wahrscheinlich weiß Wilhelm nicht, dass in Rostock mittlerweile die meisten Lebensmittel rationiert sind. Während des Krieges sinken in Mecklenburg-Schwerin die Erträge für Weizen und Hafer um die Hälfte, der Schweinebestand wird mehr als halbiert.
Ein Kriegsfanatiker ist Wilhelm nicht. Am 26. September schreibt er: „ich bin nächsten Monat auch schon ein ½ Jahr Soldat, wie die Zeit hingeht, dass wird man garnicht gewahr, es wird auch Zeit, dass der Krieg bald vorbei ist“.
Im Schützengraben hat Wilhelm keine Gelegenheit seinen Sold auszugeben, deshalb schickt er Geld nach Hause. Wie aus Einzahlungsbelegen von Oktober 1915 hervorgeht, schickt er kleinere Beträge, 10 oder auch 20 Mark.
In den Paketen, die Wilhelm erhält, sind z.B. Butter und Kaffee. Am 6. Oktober schreibt er: „Habe gestern 2 Pakete von Euch erhalten, dafür meinen aller herzlichen Dank, es waren No. 59 mit Marmelade und No. 62 mit Eiern, 1 Ei war wieder entzwei, aber die anderen waren sehr schön“. Auch der Rostocker Anzeiger wird an die Front geliefert. So schreibt er Anfang Oktober über ein Straßenbahnunglück in Rostock, von dem er in der Zeitung gelesen hat.
Bis Anfang November erhält Wilhelm 100 Pakete. Die Nummerierung beginnt daraufhin von vorn.
Am 7.11.1915 stirbt Wilhelms Stiefvater Johann Boldt.
In fast jedem Brief schreibt Wilhelm, dass er gesund und munter ist, obwohl er seit Wochen im Schützengraben sitzt. Immer wieder schreibt er auch, dass er vielleicht bald Urlaub bekommt.
Und immer wieder hofft Wilhelm auf das Kriegsende, so auch am 24. Januar: „ich glaub, es ist doch bald vorbei mit dem Krieg und dann komme ich wieder nach Euch hin“.
Wilhelm erhält weiterhin Pakete, am 26. Februar sogar sechs, vier davon von seiner Familie. Urlaub erhält er jedoch nicht, die Erbschaftsangelegenheiten in Riekdahl regelt der Dorfschullehrer für ihn.
Ende März ist Wilhelm endlich raus aus dem Graben: „bin auf Feldwache, hier ist es besser als im Graben, es dauert nun 8 Tage und dann kommen wir noch 8 Tage in Kasernen, dann geht es wieder rein nach dem Graben.“ Mitte April werden Fotos für die Heimat gemacht.
Es dauert nicht lange und er liegt wieder im Graben, Mitte Mai gibt es zwei Tage Schneesturm.
Ende Mai ist Wilhelm in einer Kaserne, aber schon wenige Tage später erfolgt die Bahnverlegung nach Wolhynien. Ende Juni schreibt er, dass es nicht vorstellbar sei, „was jetzt hier los ist“. Die nächste Karte schreibt Wilhelm am 8. Juli aus einem Lazarett in Liegnitz. Er hat einen Beckendurchschuss.
Wilhelm erhält Genesungsurlaub. Anfang September schreibt ihm der Musketier Ladewig von der Front in Wolhynien: „Wir hatten von 5 ½ bis mittags 12 Uhr Trommelfeuer auf unseren Graben, gleich darauf griff der Russe an. … Unser Bataillon wurde von den Russen umzingelt. Ich kann dir sagen Wilhelm, das war gar nicht mehr schön, wie wir aus dem Graben sprangen, war der Russe aber schon drin. Wir gingen 3 – 4 Kilometer zurück … Unser Bataillon wurde total aufgerieben, die meisten Kameraden sind gefangen.“
Ende September ist Wilhelm in einer Kaserne in Neubrandenburg. Vollständig genesen ist er noch nicht, der Arzt schreibt ihn bis 1. November erholungsbedürftig. Am 13.11. schreibt Wilhelm aus Neustrelitz. Er ist einsatzbereit und „feldmarschmäßig ausgerüstet“. Am nächsten Tag wird er nach Schwerin verlegt. Von dort geht es bald weiter nach Altona. Dort wird er in das Ersatzbataillon des Infanterie-Regiments 31 eingegliedert. Er übernachtet nicht in der Kaserne, sondern wird privat einquartiert, was die Verpflegung etwas leichter macht. Er bittet seine Familie um ein Paket mit Kartoffeln, „Butter, Wurst und Schinken habe ich noch genug, das brauche ich diese Woche noch nicht“. In Altona hat er nun Gelegenheit, Geld auszugeben, deshalb lässt er sich Geld schicken. Urlaub erhält er keinen, aber seine Mutter und die Schwestern wollen ihn übers Wochenende besuchen.
Der letzte Brief wird am 21.02.1917 in Altona abgestempelt. Wilhelm schreibt: „Liebe Mutter und Schwestern! Herzlichen Dank für den lieben … Eil-Brief, ich glaube wohl, dass es keine schöne Nachricht für Euch gewesen ist, für mich auch nicht, es kam ja all zu schnell, noch ist nicht raus, wann die Reise los geht, wir sollen um 1 Uhr wieder antreten und dann Abends wieder, bis wir endlich Bescheid kriegen, jetzt geht es los. Ich will hoffen, dass es nicht mehr solange dauern wird und dass wir bald wieder gesund heimkehren. Ihr schreibt, dass Ihr Geld von mir abgeschickt habt, aber bisher hab ich es noch immer nicht erhalten, das ist merkwürdig. Hoffentlich kommt es heute noch, wenn es nicht kommt, dann hilft es nicht, draußen brauch ich auch kein Geld. In der Hoffnung auf ein baldiges Wiedersehen grüßt Euch herzlich Euer Wilhelm“
Für Wilhelm geht es an die Westfront nach Frankreich. Im Rostocker Anzeiger können Mutter und Schwestern das Kriegsgeschehen verfolgen. Die Schlacht um Arras in Nordfrankreich wird im Rostocker Anzeiger detailliert geschildert. Über die Kampfhandlungen am 23.04.1917 wird am 26.04. unter der Überschrift „Die englische Niederlage“ u.a. berichtet: „Desgleichen wurde das Dörfchen Roeux dicht an der Scarpe im schneidigen Gegenstoß zurückerobert.“
Bei der Rückeroberung des Dörfchens Roeux stirbt Wilhelm durch einen Kopfschuss. Er wird nur 22 Jahre alt. In der Schlacht bei Arras starben ungefähr 250.000 Soldaten.
Louise Boldt erhält Anfang Mai die Nachricht vom Tod ihres einzigen Sohnes. In der Todesanzeige steht: „Er war unser einziger Trost und unsere einzige Hoffnung.“

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